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Melancholie und Ekstase – Graphiken des Symbolismus in Böhmen. 1905 bis 1918
28 Jan 2007———11 Mrz 2007

—————————— Die Anfänge des Symbolismus reichen bis ins 18. Jahrhundert zurück. Sie sind als Antithese zur Rationalität und Fortschrittsgläubigkeit der Aufklärung entstanden. Im gesamten 19. Jahrhundert befindet sich der Symbolismus im Widerspruch zu der jeweils anerkannten Kunstauffassung. Er stellt den Glauben an allgemein gültige rationalistische Maxime in Frage und will die Welt der Fantasie und des Traumes wiedergeben.
Bis 1918 gehört Prag zu der von den Habsburgern regierten österreich-ungarischen Donaumonarchie. Seit 1848 erlebt die offiziell deutschsprachige Stadt einen nationalen Aufbruch und Besinnung auf tschechische Identität und Sprache. Mit der Ausschmückung des Nationaltheaters werden die bildenden Künste 1880 zum Flaggschiff der neuen tschechischen Kultur.

Das künstlerische Leben ist ebenfalls geprägt von der Konfrontation zwischen nationaler und kosmopolitischer Orientierung. Vorbilder für die “Weltkunst” werden in Westeuropa, vor allem in Paris, gesucht und gefunden. Die Prager Spätsymbolisten stellen die klassisch-symbolistischen Themen (Träume, Seelenzustände, Übersinnliches, Symbol, Erotik und Tod) expressiv und übersteigert dar. Der Einfluss Edvard Munchs, Paul Gauguins und der “Brücke”-Künstler tritt deutlich zu Tage.
Auf der Suche nach Autonomie sind die ersten Jahre des neuen Jahrhunderts geprägt von sich mischenden Kunst- und Stilrichtungen. Dabei ist die Annäherung der einzelnen Disziplinen der Kunst eines der Wesensmerkmale des tschechischen Fin de Siècle.

Den größten Einfluss übt sicherlich Edvard Munch aus. In seinen Bildern zeigt sich die konsequente Verselbständigung der bildnerischen Mittel, nicht als Ziel an sich, sondern um seelischen Leiden Ausdruck zu verleihen.

Das Jahr 1905 mit seiner großen Munch-Ausstellung in Prag kennzeichnet einen der Eckpunkte der hier präsentierten Graphik-Auswahl. 1918, das Jahr, in dem Prag als Hauptstadt der Tschechoslowakei nach jahrhundertelanger Zugehörigkeit zum Kaiserreich Österreich, unabhängig wurde, ist der andere Eckpunkt unserer Ausstellung und der Beginn einer neuen Epoche, die sich aber im Erstarken des Nationalbewußtseins der Tschechen im 19. Jahrhundert bereits angekündigt hatte.

Die hier präsentierten Künstler František Bílek, František Kobliha, Jan Kon pek und Josef Váchal sind dem Prager Symbolismus zuzurechnen. Einige sind hauptsächlich Graphiker und Illustratoren (František Kobliha) und werden in dieser Gattung umfassend gezeigt, während andere, wie František Bílek ebenso in anderen Gattungen zuhause sind: in der Bildhauerei, der angewandten Kunst oder auch in der Dichtkunst.

Die Mehrzahl der gezeigten Holzschnitte und Radierungen sind Illustrationen zu literarischen Werken. Auch die Illustration hat sich allmählich von ihrem traditionellen Platz als beschreibende Abbildung befreit. Die moderne tschechische Illustration hat sich zum Teil einer gesamteuropäischen Bewegung entwickelt, die sich für das Buch als Gesamtkunstwerk stark macht.
Musikalität wird für die Illustration von literarischen Werken um die Jahrhundertwende dabei als höchstes Gut bewertet, als Element, das die synthetisierende Einheit von Leben und Kunst auf eine höhere, transzendentale Ebene zu bringen vermag.

Der Konflikt zwischen Individuum und es umgebender Welt begleitet und charakterisiert den Symbolismus, wie auch den Expressionismus und Kubismus im Unterschied zur gefälligeren Kunst des “Fin de Siècle” (Jugendstil, Art Nouveau, aber auch des Impressionismus). Diese Konflikte wurden zum einen genährt von Desillusionierungen, von Problemen der Industrialisierung, aber auch durch die Entwicklung der Psychoanalyse, die Subjektivität in einem neuen Licht erscheinen ließ. Der Symbolismus reicht in der tschechischen Kunst bis in den Kubismus hinein (František Kupka) und bildet damit eine Gegenrichtung zu den viel stärker formalen Fragestellungen in Frankreich.

Die Ausstellung “Melancholie und Ekstase” zeigt einen repräsentativen Querschnitt durch einen circa 350 Blatt umfassenden Graphikbestand, der im Jahre 1983 erworben werden konnte.