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Künstlerische Eingriffeam Museum

Die Sammlung ist sichtbar. Auf einen Blick und zugänglich für alle. Aus dem Dunkel des Depots ans Tageslicht des Ausstellungsraums geholt.
Aber ist sie auch hörbar? Lebt sie noch, atmet sie? Oder röchelt, rülpst und hustet, zischt, blubbert, donnert sie aus ihren Untiefen? Jauchzt, pfeift und tiriliert? Natürlich macht sie Töne. Eigene Töne. Wie klingt wohl das TV-Cello (Nam Jun Paik, 1976), wenn alle Platinen gereinigt, alle Kontakte wiederhergestellt sind? Destroyed Music (Milan Knížák, 1963-79), diese Stille dröhnt schon fast. Ist die Frau auf einem Esel (Ida Vaculková, 1961) ein Saiteninstrument für ein störrisches Zupfen?
Der Künstler und Musiker Fion Pellacini entwickelt im Rahmen der INVENTUR einen (Sound)Track zur Sammlung. Stimmen, Erzählungen und Geräusche der Skulpturen, der Besucher*innen und Mitarbeiter*innen verwebt er während der Ausstellungsdauer zu einem sich fortlaufend erneuernden Track. In welche Stimmung versetzt Sie die Sammlung? Lassen Sie es hören.
Den Widerhall der Sammlung bringt Fion Pellacini mit Komm! Komm, komm! Warum meidest du mich? Meidest du mich, meidest du mich? Lass uns hier zusammenkommen! Hier zusammenkommen! in eine hörbare Form. Über den gesamten Ausstellungszeitraum wird Audio-Material gesammelt und arrangiert. Das Tonmaterial basiert auf Eindrücken, Mitteilungen, Anregungen, Assoziationen, Kritik, Schwärmereien, Gesangseinlagen, Ausbrüchen aller Beteiligten, die an der Aufnahme-Station in der INVENTUR vom Künstler aufgezeichnet werden.
Der Track ist im Verlauf der INVENTUR im Aufgang, innerhalb der alle Räume verbindenden Rampe des Museums, zu hören. Das Foyer wird hörbar mit dem Ausstellungsraum verbunden, der Klang, den die Skulpturen (in uns) hervorrufen, zu einer akustischen und räumlichen Brücke zwischen den Objekten und den Menschen. Es entsteht eine Sound Collection der Skulpturensammlung, die schwingend zwischen dem Damals und heute, zwischen dem Außen- und Ausstellungsraum zwischen Mensch und Objekt osszilliert. Ihre Töne locken heran oder stoßen ab, sie lösen Verwunderung aus. Die Arbeit Komm! Komm, komm! Warum meidest du mich? Meidest du mich, meidest du mich? Lass uns hier zusammenkommen! Hier zusammenkommen! verändert sich fortwährend, durch immer neue Fundstücke aus den akkustischen Beiträgen der Besucher:innen. Der Künstler freut sich über jeden Beitrag und hofft auf einen spannenden Austausch über die Sammlung in der Sammlung. Kommen Sie vorbei!
Fion Pellacini
*1986 in Homburg
Komm!
Komm, komm!
Warum meidest du mich?
Meidest du mich, meidest du mich?
Lass uns hier zusammenkommen! Hier zusammenkommen!, 2022/23
Soundcollage mit Aufnahmen von Skulpturen, Geräuschen und Stimmen des Kunstmuseums Sammlung Kunstmuseum Bochum
Komm! Komm, komm! Warum meidest du mich? Meidest du mich, meidest du mich? Lass uns hier zusammenkommen! Hier zusammenkommen!, 2022/23
Amauta García und David CamargoThe Weight of Millions of Years Flowing

Die Skulptur Beine (1974) der Künstlerin Eva Kmentová ist seit den späten 1990er-Jahren Teil der Sammlung des Kunstmuseums Bochum. Sie besteht aus Zement, wirkt schwer und leicht zugleich und zeigt zwei zueinander gehörende Unterschenkel, Knie und Teile der Oberschenkel. Ein Abguss, Ausschnitte eines lebendigen menschlichen Körpers. Eva Kmentová, eine der einflussreichsten tschechischen Künstlerinnen des ausgehenden 20. Jahrhunderts, arbeitete immer wieder in Form von Abdrücken und Abgüssen an der Idee eines „negativen Raums“.
Die Künstlerin Amauta García ist aktuell für einen Residenzaufenthalt in Bochum zu Gast. Gemeinsam mit dem Künstler David Camargo entwirft sie einen neuen Zugang zu Kmentovás Werk. Nachdem die Beine im Rahmen der aktuell laufenden INVENTUR bereits aus dem Keller des Museums geholt wurden, wehen sie nun in Fragmente zerlegt als graphische Anordnung auf Flaggen an den Fahnenmasten des Kunstmuseums. Dafür arbeiteten sie mit der digitalen Technik der Fotogrammetrie, um zunächst ein 3D Modell der Skulptur anzufertigen. Dieses haben sie erneut in Einzelteile zerlegt, neu angeordnet und auf die vier Fahnen als wehende Bildträger übertragen.
Das Zerlegen und neu Zusammensetzen ist hier eine Form der Aktivierung, aber auch eine Annäherung an die Materialität von Kmentovás Arbeit. Zu den Hauptbestandteilen von Zement gehören Kalkstein, Ton und Eisen, die im Laufe von Millionen von Jahren durch geologische Prozesse entstanden sind. „Die Skulptur enthält die ganze Schwere der Zeit und Materialien, aus denen sie besteht. Nun weht sie im Wind. Hier ist die Entfaltung der Form ein Akt der Entfaltung der Zeit. Es ist eine Einladung, sich an die geologische Zeit zu erinnern, die in den verwendeten Materialien enthalten ist“, beschreiben Amauta García und David Camargo. Es ist auch eine Einladung, die Wahrnehmung zu teilen, mit der Eva Kmentová den Beginn ihrer künstlerischen Praxis beschrieb, nämlich als „eine große kindliche Freude, oder eher das Gefühl, dass etwas Schönes kommen wird“ (zit. Nach Eva Kmentová – Secondary Archive, 2020)
Oriol VilanovaNo Hiding Place is Completely Safe

15 Jahre prägte eine monumentale Wandmalerei der Künstlerin Katharina Grosse das Forum, den großen Veranstaltungsraum des Kunstmuseums. Seit vergangenem Jahr weht im Forum frischer Wind: Der spanische Künstler Oriol Vilanova hat mit No Hiding Place is Completely Safe eine große Wandinstallation bestehend aus hunderten Postkarten geschaffen. Oriol Vilanova arbeitet häufig mit bestehenden kulturellen Artefakten, insbesondere mit Postkarten, die er auf Flohmärkten und in Buchläden findet. Welche Rolle spielen Bilder in der Vermittlung von Kunst und Kultur in unserer bildträchtigen Welt? Wie entsteht Wert in der Kunstwelt und was bedeutet es eigentlich für eine*n Künstler*in, „wertlose“ Postkarten als Material zu verwenden? Das sind Fragen, die sich Oriol Vilanova in seinen konsequenten und zugleich spielerischen Arbeiten stellt. Für das Museumsforum hat er Luftaufnahmen aus seiner Postkartensammlung ausgewählt. Aus aller Welt sind Ansichten zusammengebracht und manche Motive, wie das Kolosseum in Rom, tauchen mehrmals auf. Was populär war und ist, was zum Bild gemacht wird und was unsichtbar bleibt, wird vom Künstler zum Thema gemacht. Die Postkarten sind mit kleinen Magneten an einem Raster aus Reißzwecken befestigt, sodass auch die (wichtige) Rückseite der Karte unversehrt bleibt. Das Werk wird das Museumsforum für ca. 2 Jahre schmücken, danach wird ein*e neue*r Künstler*in eingeladen, ein Werk zu konzipieren.