Inhalt

Museumsblog

Claudia Posca bloggt über aktuelle Ausstellungen im Kunstmuseum.

GIL SHACHAR – THE CAST WHALE PROJECT

How real is real?

So, – das ist mal entschieden: „The Cast whale project von Gil Shachar musst Du gucken gehen“, sprach`s das Alter Ego zum Ego. Corona-bedingter Dateneintrag am Bochumer Museumstresen hin oder her. Schließlich wird Wal am Stück – abgegossen in Epoxidharz, 14 Meter lang – nicht alle Tage kredenzt. Oder haben Sie schon mal museales Whale-Watching betrieben? Sehen Sie. Ich auch nicht. Für gewöhnlich nämlich schwimmt der Meeressäuger quitschfidel im Meer, ist einer der sportivsten unter den Ozeanriesen. Der biblische Jona hat da Erfahrungen gesammelt. Kunstmuseen dagegen? Können nicht mithalten. Allenfalls den von Damien Hirst in Formaldehyd eingelegten Tigerhai hat die Gegenwartskunst zu bieten. Aber Wal-Skulpturen in Originalgröße? Eins zu eins am fernen Fundort in Kunstharz abgeformt, jetzt raumfüllend präsentiert? ´Nein, Danke` denkt das Gros der Kunstmuseen. Und dass doch die Naturkundlichen ums Eck den Kümmerer für Buckelwal & Co geben mögen. Zumal Herman Melvills „Moby Dick“ eh nicht zu toppen ist.

Aber warum eigentlich? Wieso die Schwellenangst? Warum nicht als Haus der Kunst zwischen Abbild und Ästhetik forschen, ob Schluckfiltrierer (ehrlich, so heißen Bartenwale im Fachjargon) nicht sehr wohl zu autonomer Kunst taugen. Siehe Bochum, siehe Gil Shachars Furchenwal (wieder so ein Terminus technicus), bei dem es zweifellos um eine raumdialogisch fein justierte, skulpturale Setzung geht im Spiel mit ortsspezifischer Atmosphäre zwischen Drinnen und Draußen, Licht- und Schattenwurf, – mächtig groß, irre präsent verortet im Erdgeschoss des Museums. Realistisch, phantastisch, faktisch. Eine Menge Masse zwischen Memento mori und Melancholie. Oder, wie es leise geflüstert, herrlich flapsig durch den musealen Äther geisterte: „Hat was von der Konsistenz eines Kuhfladens, weich, wabbelig, widerstandslos. How real is real denn da nun wirklich?

Ich frage den Künstler. Sein Atelier hat der 1965 in Tel Aviv geborene Gil Shachar in Duisburg.

Herr Shachar, die Anfassbarkeit der Welt steht am Beginn Ihrer Kunst?

„Nein. Der Anfang ist eine Idee. Aber letztlich kann ich mein künstlerisches Tun nicht erklären. Für mich ist das ein magischer Prozess.“

Keine Angst, dass das Abformen zur Masche wird?

„Ja klar gibt es diese Möglichkeit. Alle Künstler schlagen sich mit dieser Frage herum. Aber wie gesagt: Die Idee steht am Anfang. Und: Ich produziere nicht in Massen. Auch der Zufall muss unwiederholt, einzigartig bleiben. Serialität hebt Individualität auf. Ich möchte mich nicht selbst langweilen.“

So kamen Sie zu dem Wal-Projekt?

„Nein, nein. In diesem Fall hatte ich einem Traum.“

Sie haben geträumt, einen Wal abzuformen?

„Ja. Es ist wirklich so gewesen. Der Traum gab die Idee. Drei Jahre hat es gedauert, – eine lange Zeit der Prüfung und Recherche, ob die Abformung eines so großen Tieres überhaupt möglich ist. Normalerweise arbeite ich allein im Atelier. Beim „Whale Cast Project“ haben viele mitgeholfen: Meeresbiologen, Wissenschaftler, Techniker. Es war ein großer Akt. Viele Genehmigungen mussten eingeholt werden. Ich hatte mich für Südafrika entschieden, weil dort oft Wale angespült werden. In Südafrika sind sie ein großes Thema. Nicht nur für den Tourismus. Der Wal steht für Fragen des Umwelt-Klima-Schutzes, thematisiert ein globales Problem. Mit ihm sind Geschichte und Geschichten verknüpft. Er spielt in der Religion, in der Literatur, in der Musik eine große Rolle. Die Geschichte von Jona im Bauch des Walfisches kennt fast jeder. Außerdem ist die Publikumsreaktion auf einen Wal im Museum extrem spannend. Viele sind sprachlos. Das interessiert mich. Die Stille vor der Interpretation. Das Staunen.“

Ist es das, was Sie mit Ihrer Kunst initiieren wollen?

„Genau. Ich möchte mit meinen Arbeiten etwas kommunizieren, das in den Köpfen und Herzen der Menschen etwas bewegt, die Grenze zwischen Kunst und Leben bricht.“

Tatsächlich geht Gill Shachars Wal-Bildnis unter die Haut. Als Kunst. Fürs Leben. Mit Gänsehaut-Effekt. Von großer Wirkmacht. Kaum dass das Werk Shachars nicht als Mitgeschöpf, als Skulptur rührt: Tot ist tot ist tot. Und in diesem Zustand auch wurde der Buckelwal mit den XXL-Flossen, – aufgetrieben, auf dem Rücken schwimmend -, in der südafrikanischen Lamberts Bay angespült. Haie hatten Löcher in den Koloss gefressen, vernarbte Wunden deuteten auf Schiffsschrauben-Verletzungen hin. Menschgemacht. Gefährlich. Zu sehen als Spuren, im Kunstharz verewigt.

Was wiederum uns, im Schutzraum von Kunst und Ästhetik stehend, ins Vertrauen nimmt: Darüber, wie intensiv der malträtierte Körper von Schmerz und Verletzlichkeit des blauen Planeten berichtet. How real is real, wenn die Endgültigkeit zuschlägt?

Ja, in der Tat, man lernt sich kennen am Wal: Nehmen wir das Memento mori ernst? Geht es uns an? Bewirkt es Einhalt? Ändert es Haltung? Ist es Fakt oder Fake, eine dystopische Landschaft, ein aus der Art gefallener Hyper-Realismus im homogenisierenden Grau-Anstrich? How real is real?

KÜNSTLERINNEN IN DER EIGENEN SAMMLUNG

Bella donna?

Jetzt aber fix. Sonst ist verpasst, was nicht verpasst werden sollte: „Kunst von Künstlerinnen in der Eigenen Sammlung“ des Kunstmuseum Bochum. Die aus dem Depot geholten Schätze hätten 60 Jahre Kunstmuseum Bochum und die Neu-Eröffnung nach Umbau der Villa Markhoff-Rosenstein feiern sollen, – wäre Covid Corona nicht dazwischen gefahren. Jetzt wird die Party nachgeholt. Das Ausstellungsprogramm, die Neupräsentation der eigenen Sammlung aber laufen. Auf die Plätze, fertig, Kunst: Dornröschenschlaf war gestern. Im lichthell-hohen Oberlichtsaal punktet ein famoser Künstlerinnen-Parcours, darin sich die Ankaufspolitik seit Gründung der Städtischen Kunstgalerie Bochum in den 1960er Jahren spiegelt. Rück- und Ausblicke gibt`s auf einen Schlag. Zeitreise inklusive. Im Fokus: Kenntnis, Können, Kunst von Künstlerinnen.

Bella donna? Schicke Kunst? Von wegen, wenn`s reduzierend gemeint ist. Andererseits: Ja sicher doch! Weil`s umfassend zu gucken gibt, wie Kunst von Frauen schlau grandios, wie Kunst von Künstlerinnen hoch ästhetisch und vor allem, wie Kunst als Kunst argumentiert.

Wozu dann aber das exklusive Made-by-Women-Hinweisen?

Tja klar, schöner wär`s anders. Aber noch ist der Gender Gap längst nicht vom Kunstparkett. Nur geschätzte zehn bis fünfzehn Prozent Kunst von Frauen findet sich in den Sammlungen deutscher Museen. In den Galerien sieht`s noch düsterer aus. Richtig wichtig also, Ausstellungen weiblicher Kreativität zu promoten.

Andererseits und verflixt daran: „Indem auf Frauen derart spezifisch hingewiesen wird, werden feministische Repräsentationsformen auch dazu missbraucht, konservative Vorstellungen von Identität zu festigen. Die Frau bleibt in einer Sonderrolle, sie wird als das „Andere“, als das, was das Männliche nicht ist, dargestellt. Dadurch wird an stereotypisierenden und vereinfachenden Identitätskonzepten festgehalten“ sieht es die Wiener Kunsthistorikerin Doris Guth klar.

Aber, aber: Umso mehr braucht`s weiter Arbeit an der Schieflage. Wie in Bochum. Wie mit „Künstlerinnen in der Eigenen Sammlung“. Die Situation ist vertrackt. Ohne Sonderausstellungen von Frauen bewegt sich nichts in Richtung Augenhöhe. Debatten über Identitätsformen müssen her. Vielleicht vor allem, um letztlich reduzierende Kategorien wie „weiblich“ und „Frau“, aber auch wie „queer“ oder „of colour“ abzuschaffen, weil die recht betrachtet am Thema Gleichberechtigung vorbeigaloppieren. Kunst schließlich ist Kunst ist Kunst. Egal welchen Geschlechts der Kunstschaffende ist. Oder nicht? Noch ist der Streit darüber, ob Frauen anders als Männer, Männer anders als Frauen gucken nicht entschieden.

So oder so, in Bochum kommt jede der zweiundzwanzig Arbeiten von „Künstlerinnen in der Eigenen Sammlung“ mit eindrücklich Bella-Figura daher, was Arbeiten u.a. von Krimhild Becker, Evelina Cajacob, Margret Eicher, Katharina und Barbara Grosse, Penny Hes Yassur, Keti Kapanadze, Käthe Kollwitz, Ursula Schultze-Bluhm und Zofia Kulik sind: intensiv, individuell, aussagestark in Gestalt von Malerei, Grafik, Fotografie, Skulptur und Installation. Selbst wer passionierter Museumsgänger ist, flaniert staunend durchs Themenkaleidoskop etlicher Jahrzehnte. Chronologische Sprünge im kuratorischen Fluss gibt`s als Visionsanker on top. Die Freiheit assoziativer Haken ebenso. Einmal unterwegs auf visuellem Roadtrip ist die papierne „Terforation“ (2015) von Angela Glajcar genauso wie der „Turm- und Vogelschrank“ (1976/77) von Ursula Schultze-Bluhm oder das subtile Beziehungsnetz der Menschen auf Marta Deskurs „Memory/Losungen“-Fotografien (1997), ein magischer Stopp fürs Imaginäre, – notwendig, um Daten, Fakten, Realitäten im Alltag durch Perspektivwechsel zu relativieren. Raus aus dem Daseinsmatsch sozusagen. Für ein Match von Haltung und Esprit. Da braucht`s den Hinweis nicht, dass es Kunst von Frauen drauf hat. Der Gender Gap wird anderswo kreiert, hat mit Erziehung, Sozialisation, Gesellschaftsstruktur zu tun.

Von wegen also nur als Muse ins Museum. Oder mit der seit Mitte der 1980erJahre politisierenden Aktivistinnen-Künstlerinnengruppe „Guerilla Girls“ gefragt: „Do woman have to be naked to get into the museum?“

Never ever! Die Hälfte des Himmels gehört den Frauen. Nackt und angezogen. Vor der Staffelei, hinter der Staffelei, als Frau, als Mensch. Hingucken. Ins Kunstmuseum Bochum gehen. Auf dass sich was ändert daran, dass viele Ausstellungshäuser den halben Himmel vermissen lassen, weil weiblicher Genius bis heute unterrepräsentiert ist. Und das, obwohl zu vermuten steht, dass der halben Menschheit schon mal aufblitzte, dass Frauen es waren, die die schönsten Höhlenbilder malten. Ein sexy Thema. Ein grundlegendes noch dazu, das aufgearbeitet gehört. Damit Kunst von Künstlerinnen wie die der männlichen Kollegen gehandelt, gefördert, protegiert wird.

Das Bochumer Haus jedenfalls zeigt starke Positionen. „Wer erobert die Welt“ (1994) von Zofia Kulik etwa geht Machtverhältnisse mit einer komplizierten Ikonografie eines Systems der Herrschaft auf 5 x 13 schwarz gerahmten Fotomontagen über 3 x 6 Metern Präsentationsfläche an. Keti Kapanadze dagegen hinterfragt in ihren Fotomontagen mit Versatzstücken der Pop-Kultur Rollen-Klischees, um kritisch-ironisch dem männlichen, dem weiblichen Blick nachzuspüren, während Elisabeth Wörndl in ihrer Farbfotografie auf Aluminium „Körper Räume“ (1998) auf der Suche nach Identität entwirft.

Frauenpower pur? Und das Kunstmuseum Bochum mittemang dabei, den Künstler-Männerclub über den Haufen zu werfen? Sympathisch. Avantgardistisch, für Bella donna auf dem Kunstparkett?

Leider nicht ganz. Denn auch in der Bochumer Sammlung sind „Werke von Künstlerinnen weitaus seltener als die ihrer männlichen Kollegen“ vertreten, steht`s im Ausstellungs-Leitfaden zu lesen. Was wiederum historisch gewachsen, gesellschaftlich tradiert, sich dadurch erklärt, dass mit den Freiheiten der Goldenen Zwanziger Jahre, als Frau sich emanzipierend Hosen anzog, Bubikopf und Zigarillo trug, spätestens mit der Nazi-Diktatur Schluss war. Stattdessen: Kinder, Küche, Kirche – bis weit hinein in die 1960er Jahre. Ein Akademie-Studium ist Frauen gar erst seit einhundert Jahren erlaubt. Und bis heute ist der Kunstbetrieb Männerdomäne, kämpfen Künstlerinnen um Sichtbarkeit, lassen sich Retrospektiven für Künstlerinnen an einer Hand abzählen. „Im Hinblick auf die Gleichberechtigung von Frauen und Männern machen Kunst und Kultur ihrem Ruf und ihrem Selbstverständnis als gesellschaftliche Avantgarde leider bis heute keine Ehre“ hat Kulturstaatsministerin Monika Grütters in der Studie „Frauen in Kultur und Medien“ 2016 protokolliert.

Mal ganz abgesehen davon, dass Georg Baselitz, einer der prominentesten Maler und Bildhauer der Gegenwart, sowieso und überhaupt der Ansicht ist, dass Frauen nicht gut malen können. So weit. So schlecht. Quo vadis Bella donna?

Wäre da nicht, gäbe es nicht: Es tut sich was. So etwa mit dem 1987 in Berlin konstituierten „Verborgenen Museum“, weltweit das einzige Haus mit ausschließlich Werken vergessener Künstlerinnen des letzten Jahrhunderts. Ja, und nicht zu übersehen: die erfreuliche Zunahme im aktuellen Ausstellungsbetrieb beim Wieder- und Neuentdecken von Kunst, geschaffen von Frauen. Siehe Bochum. Siehe Kunstmuseum Bochum. Hier sind gerade Künstlerinnen der Gegenwartskunst auf dem Vormarsch ins Gleichgewicht zu bringen, was ins Gleichgewicht gehört.

„In den sechzig Jahren seit der Gründung der Städtischen Kunstgalerie, dem heutigen Kunstmuseum, hat sich die Situation grundlegend geändert, was sich an der Ausstellungs- und Sammlungspolitik nachvollziehen lässt. Gesammelt wird im Kunstmuseum überwiegend im Zusammenhang mit Ausstellungen, so dass die hier ausgestellten Werke zumeist auf Ausstellungen ihrer Autorinnen in diesem Haus verweisen.“

Und derer an der Zahl gab`s viele und wird es hoffentlich viele noch geben. Bella donna zum Glück. Gut so.

FRANK GERRITZ / APOSTOLOS PALAVRAKIS / BRUNO QUERCI / KASIMIR MALEWITSCH – A DARKER SHADE OF BLACK

Schwarze Magie?

Keine Angst, – Schwarzmagie funktioniert auch ohne Schadenzauber. Jedenfalls wenn ´the power of art` rund um die dunkelste aller dunklen Färbungen am Werk ist. Und – wenn Zeitgenössisches auf Historie trifft. „A DARKER SHADE OF BLACK“ nennt es das Kunstmuseum Bochum. Der Parcours zeigt Art-in-black von Frank Gerritz, Apostolos Palavrakis und Bruno Querci im Dialog mit  Zeichnungen des großen Kasimir Malewitsch (1878-1935).

Bedeutet: Schwarz sehen ohne schwarz zu sehen ist angesagt. Trotz oder gerade weil Black als Nichtfarbe, – inklusiv seiner Abwesenheit oder vollständigen Absorption von Licht -, im Rampenlicht  steht: Bilder, Zeichnungen, Plastiken, – abstrakt, minimalistisch, achromatisch, im Outfit einer Farbe ohne Farbton, schwarz, schwärzer: „A DARKER SHADE OF BLACK“. Was für ein Titel. Tauglich als geflügelte Parole, treffsicher hinein ins Schwarze einer Flut von Schattig-Schattierungen unterschiedlichster Kunstwerke, die mal seriell, mal kantig, mal wie ein seltsames Musikinstrument auftreten.

„Da sagst Du was. Und ich sage Dir: Der Titel kommt mir bekannt vor. Ist lang her, verschwommen abgespeichert.“ Mein Gegenüber rätselt. Die Fährte ins Vergangene ist nicht schlecht. Führt in die späten 1960er. Da nämlich hatte die britische Rockband Procul Harum eine Single namens „A whiter Shade of Pale“ auf den Markt gebracht. Nur zu, hören Sie mal rein. Ein schöner, inzwischen fossiler Song. Und ja, richtig, genau dieser „weiße Schatten von Blass“ wird auf dem Bochumer Parkett ins Gegenteil verkehrt, zur Hommage ans Schwarz und dessen Magie: „A DARKER SHADE OF BLACK“. Im Presse-Info lautet das so:

„In Anspielung eines Musiktitels der Band Procul Harum verbindet in der Ausstellung die Farbe Schwarz vier Positionen, die eine suprematistisch analysierende Weltbetrachtung mittels Dekonstruktion und Konstruktion aufweisen. Die so frei werdenden Energien lassen den Ausstellungsraum zu einem Zeiten übergreifenden Kraftfeld werden, das dem Besucher Freiräume eröffnet.“

Stimmt. Vorausgesetzt, man hatte das Glück die Schau zu sehen. Sie wissen schon: Covid Corona gleich Shutdown pur, gleich aus die Maus. Aber hoffen wir mal, dass es im Februar `21 noch ein paar Tage offenes Haus und sichtbare Kunst gibt. Vor allem, damit Sie`s mir glauben, dass „A DARKER SHADE OF BLACK“ besagte „Kraftfelder“ und „Freiräume“ wirklich initiiert. Und zumal Sie und ich doch eigentlich dachten, dass wir nach dem einjährigen, revierweiten Ausstellungsmarathon zur „Kunst & Kohle“ 2018 alles, wirklich aber auch alles übers Schwatte zu wissen meinten. Fehlanzeige. Dem ist nicht so! Die schwarze Romantik von „A DARKER SHADE OF BLACK“ wandert auf anderen Wegen. Der Deal? Eine Wirkungsgeschichte im Nachgang ikonischer Kunsthistorie. Wie magisch also ist Black fürs zeitgenössische Kunstschaffen?

Rückblende: Wir sind im Jahr 1979. Die Bochumer Kunstsammlungen erwerben mit Unterstützung des Landes NRW zwölf Zeichnungen und eine Lithografie des Übervaters abstrakter Kunst, Kasimir Malewitsch. Ein Mega-Coup. Auch wenn`s seither immer mal wieder Querelen ob der Echtheit des ursprünglich aus dem Leningrader Malewitsch-Archiv von Anna Alexandrowna Leporskaja stammenden Konvoluts gab. Heute steht fest: Die Malewitschs sind echt, von Fachexperten geprüft, bestätigt, bescheinigt. Und ja, dieser Schatz Papierarbeiten aus den 1920er Jahren, – damals gemalte Akte der Emanzipation, heute echter Höhepunkt in der 60jährigen Bochumer Sammlungsgeschichte -, wartet darauf uns sein ´best in black` zu entdecken. Schließlich stammen die auf gilbem Grund flottierenden Kompositionen geometrisch-organischer Formen vom Schöpfer der Ikone des „Schwarzen Quadrats“. 1915 wurde es provokant im Herrgottswinkel über Eck und überkopfhoch zum Publikum in der Gruppenausstellung 0.10 in einer Petersburger Galerie erstmals öffentlich gezeigt. Was ein Skandal pur war, als Wüste im Fortgang der Kunstentwicklung empfunden wurde. Dabei ging`s um avantgardistisches Denken,- weg vom Gegenstand, von Schwere, von Gravitation: konkrete Kunst als Grammatik analytisch-visionärer Wahrnehmung. Für etwas Neues, für etwas Absolutes, für den Suprematismus.

Reproduktionen aus dem Bestand des Kunstmuseums Bochum. Foto: André Grabowski / Stadt Bochum, Presseamt

„Unter Suprematismus verstehe ich die Suprematie der reinen Empfindung. Das beglückende Gefühl der befreienden Gegenstandslosigkeit riss mich fort in die Wüste, wo nichts als die Empfindung Tatsächlichkeit ist. Und so steht die neue Kunst da als Ausdruck reiner Empfindung, die keine praktischen Werte, keine Ideen, kein ‚gelobtes Land‘ sucht“ hat es der Godfather konkreter Kunst notiert.

Also doch so etwas, wie schwarze Magie? Nur positiv, ein Nutzenzauber für eine bessere Welt?

So oder so, mit Malewitschs „Schwarzem Quadrat“ war auf jeden Fall kein schwarzes Schaf unterwegs. Auch wenn das 80 x 80 Zentimeter messende Bild buchstäblich betrachtet ein Mittelmaß ist. Aber von wegen verwehter Zauber. Der „Keim aller Möglichkeiten“ (K. Malewitsch) avancierte in der Moderne mit bilderstürmerischer Tabula-rasa-Philosophie zum gigantischen Alpha & Omega abstrakter Kunst. Quadratisch, praktisch, gut, – herrlich schnörkellos. Ein Faszinosum.

Und das bis heute, glaubt man Frank Gerritz, Apostolos Palavrakis, Bruno Querci. Schwarz auf weiß lassen sie sehen: Malewitsch ist up-to-date. Ob an der Wand, ob im Raum. Die Traditionslinien? Verlaufen so: Frank Gerritz etwa nähert sich via Abstraktion des menschlichen Kopfes dem Malewitsch-Quadrat. Bruno Querci dagegen hat im Akt serieller Zeichnung eine Suche à la Malewitsch unterwegs zu existentieller Vision gestartet und Apostolos Palavrakis befreit in seinen Plastiken, – abstrahierend -, konkrete Elemente vom Ballast ihrer Gegenständlichkeit, um ein Malewitsch-konformes, spirituelles Feld zu öffnen.

Da sage noch einer, die Philosophie des kleinen Schwarzen made by Malewitsch sei bar schwarzer Magie.

ABRAHAM DAVID CHRISTIAN – ERDE

Ja Mensch!

Wer nicht ist des Virus` überdrüssig? Was die Pandemie natürlich nicht kratzt, Kunst und Kultur aber schreddert. Futsch, das Kunstgucken vis-à-vis gemeinsam statt einsam. Und jetzt? Showroom Internet? Nein danke. Obwohl: Klar, besser als nichts. Und: großer Vorteil! – maskenlos. Aber eben auch Aura-frei. Ja Mensch: Mir fehlt Ästhetik in Echtzeit. Die Auszeit schmerzt wie Schicht im Schacht.

Und dann das: Licht am Tunnelende. Es geht wieder was. Wenn auch nur mit Social distancing. Also Atem-Schutz auf, der musealen Wegstreckenführung folgen. Einbahnstraße Museum. Sowas gab`s noch nie am Ort von Liberté & Egalité. Trotzdem: Auf die Plätze, fertig, Kunst. Tut gut, ist gut. Zumal Abraham David Christian, Jahrgang 1952, zweifacher documenta-Teilnehmer und Akteur des inzwischen legendären ersten Bochumer Bildhauersymposions 1979/80, – aus dem eine Eisenskulptur in Bochums öffentlichem Raum verblieb -,  mit „Erde“ zu Gast im Kunstmuseum ist. Soeben hat das Haus anlässlich seines 60-Jahre-Jubiläums die eigene Sammlung, – nunmehr dauerhaft -,  im modernisierten Altbau der Villa Marckhoff-Rosenstein der Öffentlichkeit neu übergeben. Wow. Jetzt also Kunst im Vehemenz-Paket. Wider das Vakuum. Auf zur Sinnlichkeit. „Meine Arbeit ist der Mensch“ wird der in Düsseldorf, New York und Hayama/Japan lebende A. D. C. zitiert. Contra Cyberspace. „Stell Dich in irgendeiner Stadt der Welt an eine Ecke und warte. Die Welt wird zu Dir kommen“ steht`s in seiner Publikation in „New Observations“ (1998) notiert. Alltagstauglicher Stoizismus? Spirituelle Zen-Praxis? Oder alles nur beruhigender Schmuh?

 

Ausstellungsansicht Abraham David Christian "ERDE" © Kunstmuseum Bochum

Wie auch immer: Lange Weile, Achtsamkeit und Kultur-Hopping haben nie enttäuscht. A.D.C.´s Empfehlung nehm` ich gern an. Sich von den Dingen packen lassen, ist Magie. Fest steht: Was ich an Skulpturen, Zeichnungen und Foto-Dokus sehe, schreibt Kunstgeschichte fort – von abstrakt bis minimalistisch. Eigenwillig. Ums Eck. Futter für hungrige Augen. Irgendwo in der Konkretion von Himmel und Erde ist die Kunst von Abraham David Christian beheimatet. Werke sind`s zwischen leise und leise. Gemacht aus Schlamm. Oder aus Eisen. Oder aus Papier. Besonders die Erde-zu-Erde-Pavimenti lassen die Vogelperspektive zu. Was grandios schweifende Aussicht auf dünne, metergroße Bodenplatten garantiert. Extrem verletzlich, haptisch verhalten und kaum vorstellbar mobil liegen sie bedeutsam zeichenhaft auf erhebenden, nicht allzu erhöhenden Sockeln.

„Erde spielt in unserer Existenz eine große Rolle (…) Auch Eisen kommt aus der Erde“ wird A.D.C. auf der Preview sagen. Mein Befund: Asche zu Asche, Staub zu Staub. Melancholisch sind sie in der Tat, die spurenreichen Felder des Abraham David Christian. Woher der Eindruck rührt: Heuer kommt die Bochumer Beletage himmlisch erdig daher. Mit Synapsen zwischen den Sphären, einem Hauch Memento-mori und viel Raum für viel Atem dazwischen. Keine Dutzendware. Aber Erdung für mindestens dutzende Blicke. Schlicht. Elegant. Sperrig. Was Wunder, wer sinniert, dass diese Arbeiten, – so irdisch -, ganz außerirdisch wirken. Ja Mensch, – ein Rätsel ist`s mit der Existenz.

Da klärt „Erde“ als schlichter Ausstellungstitel ganz wunderbar. Eine 2010 im MKM Museum Küppersmühle für Moderne Kunst Duisburg gezeigte Solo-Schau titelte „Der Weg“. Man kann beides bis heute programmatisch fürs A.D.C.-Werk lesen: Der Weg ist das Ziel, mit Daseinsmatsch unterwegs. Jedenfalls: Ich fühle mich im Bochumer Schau-Raum zuhause.

Konzentriert ist der noch bis zum 5. Oktober zu sehende Parcours auf das Frühwerk des weltweit in Museen und Sammlungen präsenten Künstlers, der schon mit 19 Jahren an der documenta (1972) teilnahm. Neben wenigen Eisen- und Papierarbeiten finden sich in Bochum überwiegend in den 1970ern entstandene Werke gezeigt. Erdskulpturen elementar. Erdhöhlen-Fotos existentiell. „Künstlerische Arbeit heißt für mich Auseinandersetzung mit sich selbst. Um diese Arbeit intensiv verfolgen zu können, habe ich mich mit Isolation beschäftigt. Während der 5. Documenta 1972 habe ich 30 Tage alleine auf einer Insel in der Fulda verbracht. Das war eine Arbeit im Zusammengang mit dem Max-Planck-Institut für Verhaltenspsychologie. Auf der Fulda-Insel in Kassel habe ich dann angefangen, mein Leben durch Skulptur zu organisieren. Ich habe kleine Skulpturen gemacht, die den Mittelpunkt der Insel markierten, die mir den Weg zum Wasser zeigten, die mir die Zeit angezeigt haben – also nicht Skulpturen, die sozusagen aus Spaß entstanden sind, sondern aus einer Notwendigkeit.“

Auch schon mal eingraben ließ sich A.D.C., rollte sich im Erdbau ein, – nah dran am Urzeitlichen. Der Mann nennt es „Respekt vor dem, was da ist“. Inklusiv des Respekts vor der Tradition. 1978 erhielt er den Villa-Romana-Preis, studierte in Florenz die italienische Renaissance: „Die kleinen Skulpturen von Michelangelo Buonarroti sind total abstrakt. Es gibt Arbeiten von mir, die sich darauf beziehen. In Japan, wo ich mich sehr wohl fühle, unterscheidet man nicht zwischen abstrakt und nicht abstrakt. Zwei Striche eines Schriftzeichens heißen im Chinesisch-Japanischen Gehen oder Mensch. Die Zeichen waren schon abstrakt, als es noch keine abstrakte Kunst gab. Vermeer hat auch abstrakt gemalt, als er 1660 Figürchen, die ganz realistisch aussehen, nur punktete.“

Das passt. Für A.D.C. ist alles im Fluss. Es ist das Aus für definierende Gedanken-Konferenzen. Erde. Mensch. Materie. Der Kosmos ist unfassbar. „Ich gehör` von ganzem Herzen dorthin, wo ich nicht bin“ leihe ich mir von Andreas Bourani zur Stimmung aus dem Off aus. Und vertraue ab jetzt Herz über Kopf. Auf dass der Groove von Naturpassion und Energie mich trägt. So, wie einst wohl geschehen, als der damalige Museumsdirektor Peter Spielmann 1985 höchst weitsichtig eine 64-teilige Einzelarbeit aus Lehm des einstigen Beuys-Schülers A.D.C. kaufte,-  jetzt Inspiration für die museale Gesamtinstallation.

Sagen wir also: Hier ist eine Art von Arte Povera am Werk, uns zu  Bilde Strukturen vom Zeichen bis zur Spiritualität zu erden. Mit Schlamm. Mit Reduktion. Als handelnde Meditation. Artikuliert. Tröstlich. Menschlich. Wie hat`s der Künstler gesagt? „Meine Arbeit ist der Mensch.“ Jetzt katapultiert sich des Künstlers Credo ganz unbedingt ins Hirn.

Auch dafür reiste am 3. Juli Kultur- und Wissenschaftsministerin Isabel Pfeiffer-Pönsgen zur Corona-bedingt kleinen Eröffnung an. „Ich bin begeistert. Wir sind ja alle schon fast entwöhnt. Und was mich betrifft, ist es mein erster Ausgang dieser Art. Darauf habe ich mich besonders gefreut. Museumssammlungen sind nicht nur ein unerschöpflicher Ideengeber für Ausstellungen. Sie sind Herzstück und Alleinstellungsmerkmal eines jeden Hauses.“

Stimmt. Stimmt sowas von. Und weil Frau Pfeiffer-Pönsgen es gut kann mit zeitgenössischer Kunst konnte dank einer großzügigen Förderung des Landes NRW eine Eisenskulptur von Abraham David Christian aus dem Jahr 2019 für die Sammlung erworben werden. Die steht jetzt im neuen Sammlungstrakt Marckhoff-Rosenstein. Als besonderer Coup von einem Künstler, der über sich sagt: „Ich lebe weltabgewandt, und ich selber bin unwichtig.“

Ja Mensch, wenn das mal nicht wirkt. Mut zur Demut können wir brauchen.